Unterwegs mit zwei Hamburger Stadtreinigern.
Studenten tummeln sich auf dem Hamburger Berg, Touristen streben nach der großen Freiheit. Das Bier und die Mexikaner fließen, die Stimmung steigt. Frühmorgens wanken die Feiernden zurück nach Hause: trunken, selig, zerstört. Was zurück bleibt und still die Nacht dokumentiert ist der Müll. Jährlich sammeln sich 920 Tonnen Abfall auf dem Hamburger Kiez, die von der Stadtreinigung Tag für Tag entsorgt werden.
Sonntagmorgens um sechs Uhr sind auf der nördlichen Straßenseite der Reeperbahn sieben hellwache Männer unterwegs: Mit breitem Kehrgerät ausgerüstet schieben sie Plastikbecher, Flyer und Zigarettenstummel auf die Straße und zertrümmern mit den holzigen Rückseiten ihrer Besen große Glasflaschen, damit die Straßenkehrmaschine sie besser einsammeln kann.
Einer der Feger ist der 30-jährige Sergej* aus Russland, Vater von vier Kindern. Er trägt eine orangefarbene Uniform. Sergej kam mit 25 Jahren nach Deutschland, nahm sechs Monate Sprachunterricht und ging zum Arbeitsamt. Die Beamtin stellte schnell fest, dass er genügend Deutsch könne, um Arbeit zu finden und verwehrte ihm weitere Unterrichtsstunden. Sergej wollte eigentlich seine Sprachkenntnisse ausbauen, um eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu bekommen, doch musste er einen schlecht honorierten Job bei einer Zeitarbeitsfirma annehmen.
Heute, fünf Jahre später, ist er bei der Hamburger Stadtreinigung fest angestellt. Als Kind wollte er Polizist oder Feuerwehrmann werden, doch Müllmann sei auch okay, sagt Sergej mit starkem russischen Akzent, lächelt breit und schiebt auf dem Hamburger Berg Becher an den Straßenrand. Die Kehrmaschine kommt heran gedüst und verschlingt sie sogleich. Sergej ist zufrieden mit seinem Job: Unter der Woche fährt er hinten auf dem Trittbrett des Müllwagens mit und leert blaue und gelbe Tonnen. Jedes zweite Wochenende ist er Feger auf dem Kiez und dem Fischmarkt und verdient ein zusätzliches Taschengeld: „Das ist wie ein 400 Euro-Job nebenher.“, erklärt Sergej und ergänzt, „Manche von uns mögen es nicht die nördliche Seite des Kiezes zu säubern, denn danach müssen sie zum Fischmarkt und die schweren Gemüsekisten schleppen. Fegen ist nicht so anstrengend, deshalb wollen sie nur auf der südlichen Straßenseite der Reeperbahn arbeiten, da wird sonntags nur gekehrt.“
Szenenwechsel.
Heinz*, ein deutscher Kollege von Sergej, sitzt zwischen zwei Müllcontainern mitten im aufgeregten Treiben des schließenden Fischmarkts. Möwen ziehen über seinem Kopf ihre Kreise und warten auf fette Beute: ein Stück Fisch, ein welkes Salatblatt oder eine Pommes Frites. Heinz ist 55 Jahre alt, arbeitet für die Stadtreinigungsgesellschaft mbH und trägt eine gelbe Uniform. Er fegt jeden Sonntag den Kiez und räumt anschließend den Fischmarkt auf: Kennt den einen Markthändler, der ihm wöchentlich einen Liter Milch schenkt und den anderen Marktschreier, der ihn stets spaßeshalber ärgert, ihm dann aber doch einen Kaffee ausgibt. „Diesen Sonntag“, sagt Heinz, „dauert es mal wieder, bis wir anfangen können. Die Händler zögern das Einpacken der Stände immer so weit wie möglich hinaus und die Marktaufsicht drückt da gerne das ein oder andere Auge zu. Der Hamburger Fischmarkt ist schließlich eine Touristenattraktion. Da können wir nichts machen, nur warten.“ Ein türkischstämmiger Händler legt Heinz einen Pappkarton mit Weintrauben in die Arme. Er beäugt sie kritisch und kommt zum Entschluss, dass sie gut seien und er sie später mitnehme. Eine halbe Stunde später sind seine Trauben verschwunden: „Wie die Geier! Haben alle nichts zu essen, deshalb wühlen sie sich hier ihren Wocheneinkauf zusammen.“ Erzürnt zeigt Heinz mit den Fingern auf vier Obst- und Gemüsesammler, die den großen Müllberg nach Essbarem durchkämmen. „Sogar meine Weintrauben haben sie mitgenommen. Aber meinen Liter Milch zum Glück nicht, den lege ich immer oben auf den Container, dort sehen sie ihn nicht.“ Genüsslich trinkt Heinz mit großen Schlucken seine Milch. Trennt danach die Pappkartons vom Plastik- und Holzmüll und wirft sie in den großen weißen Container.
Halb eins: Der Feierabend steht kurz bevor. Die Kehrmaschine düst in engen Kurven um die Lampenpfeiler des Fischmarkts und saugt matschige Gurken und zerquetschte Mangos auf. Heinzs Kollegen, darunter Sergej, werfen die letzten Holzkisten, den restlichen Plastikmüll und noch wenige Obstreste in den Schlund des großen Müllwagens, der den Abfall sogleich zusammenpresst. Durch ein Rohr an der Seite entfleucht gelbe Flüssigkeit. Es duftet nach frisch gepresstem Orangensaft.
*Alter und Name von der Redaktion geändert