Am Samstag, den 21.12.2013, wurde zur bundesweiten Demonstration aufgerufen. Unter dem Motto “Rote Flora verteidigen – Esso-Häuser durchsetzen! Gegen rassistische Zustände – Bleiberecht für alle!” waren rund 6900 Demonstranten unterwegs. Doch zur Demo kam es nicht…
Die Demo mit meinen Augen:
Als ich gegen 14.30 Uhr zum Treffpunkt mit meinen Freunden kam, strömten die Leute Richtung Schulterblatt. Schnell wurden die geschätzte Demonstrantenzahl von anfangs 4000 auf offiziell 6900 seitens der Polizei angehoben, darunter auch Eltern mit ihren Kindern. Schwangere habe ich auch gesehen. Es verlief ruhig. Gegen 14.50 Uhr wurden die ersten Böller gezündet, in der Masse. Leute, ganz ehrlich, das hätte nicht sein müssen.
Als sich gegen 15 Uhr die Masse zum Demo-Zug formierte war die Route von der Polizei bereits geändert worden. Sie sollte nun nicht mehr entlang der Esso-Häuser an der Reeperbahn verlaufen, sondern um das Heiligengeistfeld führen. Gegen 15.05 Uhr wurden alle Seitenstraßen des Schulterblatts von Polizisten (u.a. auch aus Bayern) abgeriegelt. Es entstand ein Kessel in den rund 7000 Demonstranten eingeschlossen wurden. Es gab erste Meldungen von dem Einsatz von Wasserwerfern unter der ICE-Brücke am Ende des Schulterblatts. Doch die Masse blieb ruhig.
Als die Polizisten aus den Seitenstraßen weiter vorrückten kam es immer mehr zum Gedränge in der Menschenmasse. Die ersten Flaschen flogen. Die Masse reagierte ausschließlich auf die Aktionen der Polizei. Eine überhöht aggressive Grundhaltung seitens der Demonstranten kann ich nicht bestätigen. Es gibt immer ein paar schwarze Schafe bei einer Demonstration, aber 6900 Menschen in einen Topf zu werfen finde ich, auch in dieser Situation, nicht angebracht.
Die Demonstration wurde von der Polizei als beendet erklärt, bevor sie losging. Grund soll ein vorzeitiger Beginn gewesen sein. Es war definitiv nach 15 Uhr.
Wir entfleuchten den Massen durch ein Schlupfloch neben Brunos Käseladen, ein Hinterhof, der einen Kinderspielplatz mit noch spielenden Kindern verbarg. Auf der Barthelstr. angekommen, liefen wir um den Block und begutachteten die Schulterblatt-Situation von der anderen Seite. Die Polizisten hatten die restlichen 3000 Demonstranten eingekesselt und bis zu Schmitts Pommesbude zurückgedrängt. Ein Trupp mit Schlagstöcken und Pfefferspray marschierten an uns vorbei.
Wir liefen entlang der Feldstraße, wollten Richtung Esso-Häuser, als die zum Teil Polizei aus der Schanze abgerückt wurde und im Schnellschritt bei und entlang lief. Zirka 20 Einsatzwägen inklusive. Ein paar der Demonstranten sammelten sich auf der Reeperbahn und verteilten Flugblätter, um vorbeigehende Passanten zu informieren. Mülltonnen und Zäune wurden auf die Reeperbahn geschmissen. Die Polizei sperrte die Reeperbahn ab.
Nach drei Durchsagen seitens der Polizei innerhalb von 30 Minuten: “Wir können Ihre Sicherheit auf der Reeperbahn nicht mehr gewährleisten. Bitte räumen Sie den Einsatzbereich und schließen Sie sich nicht den Straftätern an” wurde die Reeperbahn zwischen Davidwache und U3 abgesperrt. Nicht einmal als Anwohner mit Personalausweis wurde man durchgelassen. Auf dem Weihnachtsmarkt Santa Pauli waren definitiv noch Eltern mit ihren Kinder unterwegs.
Ich lief über die Kastanienallee Richtung Hans-Albers-Platz, über den zirka 300 Demonstranten Richtung Erichstraße liefen. Vor fünf Minuten (18:10 Uhr) erreichte mich die Nachricht, dass die Polizei auf der Reeperbahn nun Pfefferspray einsetzt. Liebe Polizei, ihr glaubt doch nicht im ernst, dass da nur noch Demonstranten sind… eure Durchsagen waren auf dem Weihnachtsmarkt nicht zu hören.
Es ist einfach nur traurig.
“Kurz nach 15 Uhr: Die Demo setzt sich in Bewegung. Vorneweg marschieren schwarz gekleidete Protestler mit aufgesetzten Kauputzen und Sonnenbrillen hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Refugees, Esso-Häuser und Rote Flora bleiben. Die Stadt gehört allen“. Musik schallt vom Lautsprecherwagen. Unter der Sternbrücke schreit der Einsatzleiter plötzlich „Zurück!“ in Richtung seiner Kollegen, die sich etwa 20 Meter vor ihm und 50 Meter vor der Spitze der Demo befinden. Aus allen Richtungen stürzen BeamtInnen in Schutzkleidung mit gezogenen Schlagstöcken unter die Brücke und stoppen die DemonstrantInnen. Der Demonstrationszug ist zu diesem Zeitpunkt keine 20 Meter weit gelaufen. Es kommt zu Rangeleien zwischen BeamtInnen und ProtestlerInnen, Böller und brennende Fackeln werden auf die Polizisten geworfen. Diese bringen zwei Wasserwerfer in Stellung und fordern die DemonstrantInnen mehrfach auf sich zur Flora zurückzuziehen. Als Antwort regnen weiter Böller und erstmals auch Flaschen auf die BeamtInnen nieder. (…)
Zwischen 15:30 Uhr und 16 Uhr: Die Polizei drängt die DemonstrantInnen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken zurück. Diese werfen weiter Steine, Böller, Farbbeutel und brennende Objekte auf die BeamtInnen. Es gibt erste Verletzte auf beiden Seiten. Szenen wie aus einem Kriegsgebiet: Sanitäter tragen schreiende, blutüberströmte Menschen – DemonstrantInnen und PolizistInnen – auf Tragen aus der Gefahrenzone. Einige scheint es nicht zu kümmern, dass die Sanitäter helfen wollen – Steine und Leuchtgeschosse fliegen auf die Retter. Zu diesem Zeitpunkt sind auch noch nicht alle Kinder in Sicherheit. Zwei Polizisten stellen sich schützend vor einen Vater mit seinem Sohn. Ein Stein trifft den Helm des Beamten „Bring endlich das Kind hier weg“, schreit er. Der Vater gehorcht und rennt mit seinem Sohn auf dem Arm davon. (…)”
(Dominik Brueck – HH Mittendrin)
Das sagen die Medien:
- Spiegel: Ausschreitungen in Hamburg – Ein dämliches Gewaltspektakel
- HH Mittendrin: Flora-Bleibt-Demo: Ein Tag im Dezember
- NDR: Hat die Polizei die Demo zu früh gestoppt?
- HH Mittendrin: Liveticker zur “Flora bleibt” Demo
- Daniel Bröckerhoff: Ich habe kein Verständnis.
- Elbmelancholie: Ausschreitungen in der Gefahrenzone- So this is Christmas
- Recht auf Stadt: Gegen die Putinisierung der Hamburger Politik
- Spiegel: Krawalle in Hamburg – Polizei und Demonstranten liefern sich…
- Der Freitag: Wer darf in der Stadt wohnen?
- n-tv.de: Was alles nicht gesagt wird – die Krawalle in HH und die Rolle der Polizei
- publikative.org: Eskalation in der Schanze
- ZEIT: Schuld sind immer die anderen – Krawalle in Hamburg
- Deutschlandfunk: “Es gibt einen von der Polizei entfachten Zorn, der sich dann manchmal entlädt”, Thomsas Ebermann im Gespräch mit Friedbert Meurer
- ZDF: Krawalle und Verletzte bei Demo in Hamburg
- NDR: Krawalle und Verletzte bei Protesten
- ZEIT: Esso-Häuser – Rettet den Schmuddel
- NDR: Esso-Häuser – Streit um Umgang mit Mietern
Video zum Demonstrationsbeginn am 21.12.2013
“Augenzeugen berichten jedoch von einem anderen Ablauf. Auch Videoaufnahmen zeigen es: Der Demonstrationszug setzt sich auf der von der Polizei genehmigten Route in Bewegung, wird dann aber recht unvermittelt gestoppt. Von den angeblichen Würfen aus der Personengruppe ist nichts zu sehen. Erst nach dem Stopp des Protestzugs eskaliert die Gewalt.” (Quelle: NDR.de)
Meine Ansicht zum Geschehen:
Ich bin weder links orientiert, noch bin ich gewaltbereit. Doch auch ich war eine von den 6900 Demonstranten am gestrigen Tag. Ich bin eine Bürgerin von St. Pauli und finde es traurig, dass Geld immer noch der Schlüssel zur Macht – auf St. Pauli der Schlüssel zur Immobilienspekulation ist.
Ich bin der Meinung, die Demo wäre wesentlich friedlicher verlaufen, wenn sie die Route hätte laufen dürfen. Rechts und links eine Garnison Polizisten, aber einfach laufen lassen. Dem Demonstrationsrecht Raum geben, damit auch der Teil der Bevölkerung seine Meinung kund geben kann, auf die sonst nur sehr wenig gehört wird. Die, die Normalverdiener, Künstler oder Studenten sind.
Eine Einkesselung führt zu Gedränge, Panik und zur bewussten Freisetzung von Aggression. Da muss man keine fünf Meter für denken können, um die Folgen abzuschätzen: Verletzte, Frustrierte und am System zweifelnde.
Eine Demonstration aufzulösen, bevor sie überhaupt gestartet ist, führt zu über die Stadtteile versprengt Verletzte, Frustrierten und am System zweifelnden und zu mehr Einsatzgebieten für die Polizei.
Dies bewusst in Kauf zu nehmen, anstatt erstmal zu beobachten, was passiert, wenn die Demo los läuft und sich wie üblich streckt. Die vordere evtl. gewaltbereite Front eindeutig beobachtet werden kann und der unvermummte Demonstrant friedlich folgt. Da wäre das Risiko einer Eskalation wesentlich geringer und der Aufwand für die Polizei im nachhinein wesentlich weniger geworden.
PS: Ich denke bei einer Demonstration mit einem Thema, für das man einsteht, ist eine Vermummung unnötig. Man steht dafür mit seinem Gesicht gerade oder bleibt der Demo fern.
Zur Demonstration am Samstag, 21.12.2013 in Hamburg:
Um 12 Uhr geht es los mit einer Kundgebung von Lampedusa in Hamburg im Steindamm. Ab 14 Uhr wird eine antirassistische Auftaktkundgebung an der Roten Flora beginnen und pünktlich um 15 Uhr wird sich die internationale Demo in Bewegung setzen.
Weitere Info’s: Flora bleibt
Die Route: Auftaktkundgebung vor der Flora im Schulterblatt, von dort über die Altonaer Straße, Schanzenstraße, Neuer Pferdemarkt, Budapester Straße zu den Esso-Häusern an der Reeperbahn, nach einer Zwischenkundgebung weiter über Talstraße, Simon v. Uetrecht Str., Budapester str., Neuer Kamp, Feldstraße bis Karolinenplatz Abschluss.
Zur Initiative Esso-Häuser
Zu Flora bleibt unverträglich!
Zu Lampedusa in Hamburg – We are here to stay
Gefahrengebiet in der Hamburger Innenstadt
Aus Angst vor Krawallen und der Störung des Weihnachtsgeschäfts wurde von 14 bis 23 Uhr die Hamburger Innenstadt zum Gefahrengebiet erklärt.
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