Der Mittagstisch, dem die Bauarbeiter vertrauen

Grafmann's Mittagstisch

“Haben Sie die 15 Cent passend?” Ich krame in meinem Portmonnaie nach dem Bronzegeld und verweise meinen wartenden Hintermann in der Schlange: “Sie haben ja bestimmt Zeit.” Er verneint – typisch Großstadt.

Ich suche trotzdem nach den 15 Cent. 10, 12, 13 – scheiße. “Leider fehlen mir zwei Cent, da kann ich ihnen nur 50 geben.” “Nein, nein”, ertönt es hinter mir, “auch wenn ich Schwabe bin, will ich mal nicht so sein.” Mein Hintermann steuert zwei Cent bei. Die Kassiererin wirft zeitgleich ihr Veto ein. Wenn hier wer die zwei Cent zusteuere, dann sei das sie. Man einigt sich schließlich auf je ein Cent Zubrot.

Im wahrsten Sinne: Ich bin mitten in meiner Mittagpause in diese menschliche Szene geschlittert. An einem Ort, der trotz seiner Lage im schicken Rotherbaum durch und durch bodenständig ist, der Mittagtischladen und Mini-Supermarkt “Grafmann”.

Warum Chichi, wenn es auch einfach geht

Ein Ort, völlig anders, als das umliegende schicke Villen-Viertel nahe der Alster. Und das sieht man bereits von außen. Bodenständig, bunt gemischt und offen. Pragmatismus ist hier vorherrschend: Stehtische, karges Interieur. Die Räumlichkeit wirkt ein wenig zu groß für das Angebot: Hähnchenschenkel, Eintopf mit Speck, Frikadellen, kalte Schnitzel, Kartoffelsalat, belegte Brötchen sowie wechselnde Gerichte.

Hier treffen Bauarbeiter auf Akademiker. Typen aus der gegenüberliegenden Akademie der Publizistik und von den nahe liegenden Baustellen. Es gibt in der Gefriertheke arrangierte belegte Brötchen und einen Mittagstisch ohne störende Barriere zwischen dem Suppenpott und dem Kunden. Frisch geschöpft landet der Teller direkt in die Hand des Hungrigen, im Austausch gegen eine Wertmarke mit der Aufschrift “Eintopf” – 3,50 inkl. Bockwurst und einem Stück Brot.

Schlanke Linie kannste knicken

Grafmann's Mittagstisch 2

Nudelauflauf wie bei Oma: mit reichlich Sahne, Kochschinken und Käse. Auch zum Mitnehmen.

Meine Errungenschaft: Ein Pöttchen Kartoffelsalat und ein belegtes Brötchen für 4 Euro 15 menschliche Cent. Während ich zuvor meine Auswahl traf, beäugte eine junge Volontärin kritisch die Auslage in der Kühltheke. “Sind die gut?” Ich zucke die Schulter und entgegne: “Sind halt belegte Brötchen. Kannste auch beim Bäcker kaufen, sind da nur 40 Cent teurer.”

Manch einer würde den Mini-Supermarkt mit Mittagstisch vielleicht als altbackend, einfältig oder muffig bezeichnen, ich bevorzuge den Begriff “menschlich”. Menschliche, unprätentiöse Orte mit einfachen Speisen sind in Hamburgs Mitte rar gesäht. Viele würden hier sicher mit rümpfender Nase vorbeigehen, mich ziehen solche Orte jedoch magisch an. Denn hier wird einfach LEBEN! groß geschrieben.

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